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Wie der Digital Twin den Informationsaustausch revolutioniert

Geschrieben von Maximilian Krcmar | 10. August 2018

Spricht man heute über neue Ansätze im Kundendienst, wird man häufig mit dem Begriff des Digitalen Zwillings oder auch Digital Twin konfrontiert. Was sich dahinter verbirgt und wie Unternehmen davon profitieren, lesen Sie im folgenden Beitrag.

  • "Nach nur 63.791 Kilometern bei normaler Fahrweise war mein Turbolader defekt. Ich wurde an einem Sonntagnachmittag auf dem Heimweg vom Familienurlaub in der Schweiz auf dem falschen Fuß erwischt."

  • "Mit ca. 14.000 Betriebsstunden ist die Hydraulikpumpe nicht mehr zu gebrauchen."

  • "Die Grundschneiden sind bei Ahorn nach 80 Durchgängen stumpf."

So oder so ähnlich klingen Beiträge zu Produkten in zahlreichen Foren. Informationen wie diese kommen allerdings leider nur selten direkt beim Hersteller an. Umfassende und genaue Daten sowie deren Analyse sind jedoch eine wichtige Grundlage für den effizienten Betrieb und die Wartung von Anlagen und Maschinen geworden. Unternehmen sind heute mehr darauf angewiesen als je zuvor.

 

Die Digitalisierung betrifft alle Fachbereiche

In unserer schnelllebigen Geschäftswelt von heute bleibt Unternehmen nur wenig Handlungsspielraum: Entweder sie passen ihre Geschäftsmodelle an, um schnell auf Marktanforderungen und sich ständig verändernde Kundenanforderungen reagieren zu können, oder sie werden von der Konkurrenz überholt und verschwinden unter Umständen vollständig von der Bildfläche. Dadurch herrscht ein ständiger Druck, am Puls der Zeit bleiben zu müssen. Diese Entwicklung macht vor keinem Unternehmensbereich halt – auch nicht vor dem Kundendienst.

Oftmals bekommen Maschinenbauer erst nach mehreren Monaten und mit viel Mühe valides Feedback über den Status und die Qualität der eigenen Produkte, da der Support oft an externe Dienstleister ausgelagert wurde. Sie können erst sehr spät reagieren und mit eventuell notwendigen Produktverbesserungen beginnen. Ein klarer Nachteil in Zeiten, in denen sich Produktlebenszeiten drastisch verkürzen, die Komplexität der Produkte steigt, Losgrößen immer kleiner werden und vor allem die Verfügbarkeitsanforderungen steigen.

 

Der Digitale Zwilling

Der Digitale Zwilling (engl. Digital Twin) schlummert bei Unternehmen schon seit einigen Jahren in der Datenbank. Doch wirklich realisierbar wurde er erst im Zeitalter des Internet of Things (IoT). Der Digitale Zwilling ist das virtuelle Modell eines Prozesses, eines Produkts oder einer Dienstleistung, das die reale und die virtuelle Welt miteinander verbindet. Er verwendet dafür reale Daten aus Sensoren, die beispielsweise die Arbeitsbedingungen oder die Position von Maschinen übermitteln. Das Kombinieren der virtuellen und der realen Welt ermöglicht eine detailliertere Datenanalyse, die Überwachung von Systemen und sogar die Remote Wartung.

Ein Digitaler Zwilling entsteht bereits im Entwicklungsprozess eines Produkts. Er enthält Informationen wie Konstruktionspläne oder die Anzahl der Sensoren und deren Verwendung. Während der Fertigung des Produkts werden nun weitere Daten ergänzt, zum Beispiel Seriennummern von Komponenten, Versionen von eingebauter Software, Messwerte aus der Fertigung u. v. m. Während der Nutzung des Produkts wird der Digitale Zwilling dann mit zusätzlichen Informationen aus dem täglichen Betrieb versorgt. Hier geht es um Sensormesswerte, durchgeführte Wartungsaufträge, Softwareupdates, Austausch von Komponenten etc.

 

SAP Asset Intelligence Network

Mit diesen Informationen kann der Digitale Zwilling auch dabei helfen, Prozesse zu simulieren und Produkte zu verbessern. Der Digitale Zwilling ist im Zeitalter der Digitalisierung aber mehr als nur ein virtueller Prototyp. Er begleitet das Produkt bis zum Kunden, der den Digitalen Zwilling ebenfalls zu seinem Vorteil nutzen kann. Hersteller, Betreiber und Dienstleister rücken näher zusammen und bilden ein Netzwerk.

 

 

 

 

Ein Digitaler Zwilling stellt ein zweites Stammdatum eines Produkts da. Um diese Stammdaten ohne Medienbrüche mit den beteiligten Partnern zu teilen, wird ein Informationsnetzwerk benötigt. Idealerweise stellt der Hersteller alle Stammdaten für sein Produkt zur Verfügung, die dann von Betreiber und Dienstleister übernommen werden. Die bidirektionale Kommunikation zwischen Hersteller und Partner bzw. Netzwerk stellt sicher, dass alle Daten aus dem täglichen Gebrauch der Maschinen umgehend auch beim Hersteller landen. Er ist nicht mehr darauf angewiesen, seine Informationen aus Garantiefällen oder Produktbewertungen auf verschiedensten Plattformen zu beziehen und kann schneller reagieren.

 

Über eine offene API im Netzwerk können alle Beteiligten mit den verschiedensten Systemen an das Netzwerk angebunden werden. So können weitere Szenarien wie beispielsweise Predictive Maintenance oder Machine Learning realisiert werden. Hersteller können ihre Produktion von Ersatzteilen planen. Sie wissen nun genau, wann welches Bauteil wahrscheinlich ausfällt und in welcher Maschine dies passieren wird. So können sie benötigte Ersatzteile punktgenau produzieren.

 

Dienstleister können abgeleitet davon, Serviceaufträge mit einem Vorlauf von teils mehreren Wochen planen und die richtigen Kapazitäten zum richtigen Zeitpunkt bereitstellen. Auch der Betreiber – also der Kunde – profitiert davon. Ein möglicher Ausfall der Maschine wird vorhersehbar und kann somit vermieden werden.

 

SAP hat für den Digitalen Zwilling das SAP Asset Intelligence Network ins Leben gerufen. Ein Netzwerk, das sämtliche Geschäftspartner und deren betriebswirtschaftlichen Prozesse und Systeme verknüpft.

 

Prozesse erlebbar machen

Nicht nur physikalische Produkte lassen sich als Digitaler Zwilling abbilden, sondern auch Prozesse. So lässt sich beispielsweise ein Produktionsprozess virtuell mithilfe eines Digitalen Zwillings simulieren. Diese Methodik ist besonders bei Produkteinführungen relevant. Eine zeitliche Fehlkalkulation im Herstellungsprozess kann sowohl für einen Dienstleister als auch für den Hersteller teure Vertragsstrafen und Umsatzeinbußen nach sich ziehen. Die Simulation des Herstellungsprozesses bereits vor Produktionsstart ermöglicht Produktherstellern eine weitaus präzisere Produktionsplanung vor Vermarktungsstart.

 

Fehler erlauben und Risiken minimieren

Der Weg zu einem neuen Service, Prozess oder Produkt verläuft in den wenigsten Fällen geradlinig. Völlig neue Produkte sind in der Vergangenheit durch die Bereitschaft von Mitarbeitern entstanden, im Notfall auch zu scheitern. Scheitern war und ist in traditionell arbeitenden Unternehmen allerdings immer mit Kosten verbunden. Doch wer scheitert, hat keinen Fehler gemacht, sondern eine Erkenntnis gewonnen. Durch den Digitalen Zwilling ändern sich diese Spielregeln. Mitarbeiter können ihrer Kreativität und Faszination freien Lauf lassen und Produkte sowie Veränderungen einfach und schnell simulieren, ohne diese bereits in einem frühen Stadium unter reellen Bedingungen zu testen. Das Risiko des Scheiterns wird minimiert, Innovation gefördert.

 

Von neuen Möglichkeiten profitieren

Doch nicht nur die Produktion und das Herstellernetzwerk profitieren von einem Digitalen Zwilling. Der Kundenservice kann durch die ständige Verfügbarkeit von Live-Daten neue Servicemodelle nach Belieben generieren. Um diese evaluieren zu können, sollten zunächst Maschinendaten mit dem des Serviceportals und des Customer Relationship Managements zusammengebracht werden. So können Kunden zu jeder Zeit entlang der gesamten Customer Journey mit den richtigen Informationen versorgt werden. Außerdem können wertvolle Ressourcen in Marketing, Vertrieb und Kundenservice treffsicher dort eingesetzt werden, wo die größten Potenziale liegen.

 

Eine Win-win-Situation für alle

Vom Digitalen Zwilling und den damit einhergehenden Möglichkeiten profitieren alle.

  • Hersteller müssen nun nicht mehr auf Garantiefälle oder Kundenrezensionen warten, um Erkenntnisse über ihre Produkte zu erhalten.
  • Prototypen werden weitestgehend überflüssig.
  • Dienstleister können auf der Basis jederzeit verfügbarer Live-Daten neue Geschäftsmodelle kreieren.
  • Konsumenten klagen nicht mehr über teure Ausfallzeiten.

 

Auch die verschiedenen Dienstleister kommen, soweit Serviceprozesse digitalisiert sind, nicht zu kurz. Szenarien wie in der Werbung eines großen amerikanischen IT- und Beratungsunternehmen werden Realität: Maschinen rufen ihren Servicetechniker selbst, wodurch die Ausfallzeiten auf ein Minimum reduziert werden. Durch eine frühzeitige Alarmierung können zudem Technikereinsätze viel effizienter geplant werden.