Oliver und ich haben als Geschäftsführer der IBsolution am InnovationCamp Baden-Württemberg teilgenommen. Dort gewannen wir spannende Einblicke in die Erfolgsgeheimnisse des Silicon Valley. Es ist auffällig, wie viele Unternehmen zwischen San Francisco und San José mit ihren Ideen die Geschäftswelt nachhaltig verändern und in kürzester Zeit rasantes Wachstum und riesige Erfolge erzielen.

 

Artikelreihe zum Silicon Valley

 

Der Kunde im Fokus

Vor allem das Silicon Valley – ein 70 Kilometer langes und 30 Kilometer breites Gebiet – ist als Hochburg der amerikanischen Technologiebranche dafür verantwortlich, dass Kalifornien für sich genommen mit einem Bruttoinlandsprodukt von 2,4 Billionen US-Dollar das sechstgrößte Industrieland der Welt wäre. Aber was machen die dortigen Software- und Hightech-Unternehmen anders? Die Antwort mag recht banal klingen, macht aber den Unterschied aus: Die Bedürfnisse der Kunden stehen konsequent im Fokus.

 

Viele Produkte setzen sich nicht dauerhaft durch, weil sie nicht zu dem passen, was der Kunde will. Anders ausgedrückt: Es gibt keinen Product-Market-Fit. Das kann zwei Ursachen haben: Entweder hat ein Unternehmen die Zielgruppe für ein Produkt nicht präzise definiert (nach dem Motto „Jeder ist unser Kunde“) oder das Produkt bietet zu viele verschiedene Features und wurde nicht für einen spezifischen Einsatzweck entworfen. Beide Szenarien erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass das Produkt nicht erfolgreich sein wird.

 

Dem Bedarf auf der Spur

Mit ihrer kundenzentrierten Herangehensweise passiert es den Unternehmen im Silicon Valley nicht, dass sie am Markt vorbeientwickeln. Wenn sie damit beginnen, ein Produkt zu designen, besteht die erste Aufgabe darin festzulegen, für welche Zielgruppe es gedacht ist (Customer Segment) und welchen Nutzen die Kunden von dem neuen Produkt haben (Value Proposition).

 

Nicht von ungefähr sind diese beiden Aspekte die ersten Felder, die im Business Modell Canvas (BMC) auszufüllen sind. Das BMC ist eine Planungsmethode, die alle Elemente eines Business Case bzw. einer Geschäftsidee in einer Matrix strukturiert und testet, ob sie unternehmerisch sinnvoll sind. Mittlerweile hat sich das BMC als Standardvorlage etabliert, um Innovationen voranzutreiben.

 

Oftmals führen Unternehmen die Recherche zu Kundengruppen und Nutzenversprechen nur unzureichend oder gar nicht durch. Nicht so im Silicon Valley. Dort begeben sich Start-ups auf eine Customer Discovery: Innerhalb von drei Monaten führen sie möglichst viele Interviews mit potenziellen Kunden, um herauszufinden, welches Nutzenversprechen ein Produkt geben muss, damit der Markt es annimmt.

 

Bloß nicht Mutti fragen

Allerdings bergen diese Interviews auch eine gewisse Herausforderung: Woher weiß ich, dass ich die richtigen Fragen stelle und meine Gesprächspartner ehrlich antworten? Hier gibt der sogenannte Mom Test Orientierung. Hintergrund: Sie sollten niemals Ihre Mutter fragen, ob Ihre Geschäftsidee gut ist. Denn Ihre Mutter liebt Sie und wird Ihnen deswegen nicht unbedingt die Wahrheit sagen.

 

Ebenso möchten die meisten Menschen aus reiner Höflichkeit Ihre Gefühle nicht verletzen und werden Ihnen unter Umständen eine falsch-positive Antwort geben. Da Sie nach Bestätigung suchen, stufen Sie die Antwort Ihres Gegenübers jedoch als verlässliche Information ein. Der Mom Test hilft Ihnen, die richtigen Fragen zu stellen und die richtigen Schlussfolgerungen aus den Antworten zu ziehen.

 

Im Rahmen der Customer Discovery kristallisiert sich heraus, zu welcher Zielgruppe das Produkt passt und welchen Nutzen die Zielgruppe aus ihm zieht. Oft ist es erforderlich, den eigenen Fokus während dieses Prozesses immer wieder zu verändern. Aufgrund der Interviews müssen Unternehmen entweder das Produkt oder die Zielgruppe im Vergleich zu ihren ursprünglichen Überlegungen anpassen. Diese Optimierung des Geschäftsmodells anhand des Feedbacks nennt sich Pivoting und ist in der Start-up-Szene mittlerweile ein absolutes Muss. Erweist sich eine Idee nicht als markttauglich, bleibt nur, sie zu überarbeiten.

 

Programmiert wird später

Auch nach den Kundeninterviews wird die Software noch nicht programmiert, sondern es folgen weitere Praxistests. Beispielsweise soll eine Dummy-Website ermitteln, wieviel die Nutzer für das Produkt auszugeben bereit sind. Klickt der Kunde auf den Download-Button, muss er seine Daten eingeben. Anhand der Zahl der Kunden, die ihre Daten hinterlassen, wird ersichtlich, ob ein Produkt Potenzial hat oder nicht.

 

Das Wizard-of-Oz-Experiment arbeitet mit dem Faken von Anwendungen. Ein Beispiel: Ein Anwender kommuniziert mit einem im Sinne der künstlichen Intelligenz autonomen System. In Wirklichkeit aber erzeugt ein Mensch im Verborgenen die Reaktionen des Systems.

 

Der Wizard of Oz dient dazu, mögliche Reaktionen von potenziellen Benutzern eines Systems zu sammeln. So erkennt das Unternehmen, welche Daten kommen und ob der Service genutzt wird. Erst wenn auf diese Weise ein ausreichendes Potenzial festgestellt wurde, startet die Programmierung der Software.

 

Beobachten und lernen

Auch wenn ein Produkt bereits etabliert ist, arbeiten die Unternehmen im Silicon Valley weiter an der Optimierung, wenn beispielsweise das Wachstum ins Stocken gerät. Hierfür gibt es unter anderem die Methode „Follow me home“. Ein Team des Herstellers besucht die Kunden zu Hause und beobachtet, wie diese mit der Software arbeiten. Aus den Beobachtungen leiten die Mitarbeiter Erkenntnisse ab, die in die Optimierung der Software einfließen. Übrigens ist die SAP bestens mit dieser Methode vertraut. Zwischen 2010 und 2012 hat sie das Follow-me-home-Prinzip intensiv angewendet. Das Resultat: die Fiori-Oberflächen in S/4, wie wir sie heute kennen.

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